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"Der Mensch - nicht mehr Herr seiner SINNE?"

"Der Mensch - nicht mehr Herr seiner SINNE?"

Bei dem Treffen der Lab- Mitglieder in Berlin wurde die experimentelle Bekanntschaft mit dem Retro-nasalen Duft gemacht und Geschmacks bzw. die Erlebnisbeschreibungen wie „steinig, kalt“ oder "ähnelt einem spitzen Ton” legen nahe, wie vielseitig unsere menschliche Sensorik sein kann.

Nun im Hinblick auf den baldigen Workshop auf der diesjährigen Berlin Food Week sowie der darauffolgenden Frankfurter Buchmesse fokussiert sich das Team auf den GESCHMACK und dessen möglicher Manipulation. Die evolutive & lebensnotwendige Bedeutung scheint längst in Vergessenheit geraten zu sein. Daher ist es umso wichtiger, dass das ganz ursprüngliche Vorhandensein dieser Sinne bewusstgemacht wird.

 Hierzu ein Essay von dem Teammitglied Martin Wurzer-Berger:




Schmecken – 

ein überlebenswichtiger und noch zu unterschätzter Sinn


"Politik, Gesundheitskonzepte, Diäten und Lebensmittelindustrie – sie alle arbeiten daran, unseren Geschmackssinn ihren Interessen gemäß zu lenken. Warum ist unser Geschmackssinn so anfällig für MANIPULATIONEN von außen?

Gemeinhin verstehen wir unter Schmecken den Eindruck, den jedwedes Essen oder Trinken auslöst. Er ist häufig verbunden mit einem Werturteil: „Es schmeckt mir“ meint recht allgemein und undifferenziert, dass das gerade Gegessene oder Getrunkene mein Wohlgefallen findet (oder eben nicht, wenn ich mich abfällig äußere). Das könnte uns zu der naheliegenden Annahme verleiten, dass Essen und Trinken vor allem dafür da sei, uns zu Erfreuen. Doch das hieße, die Macht und Bedeutung der Geschmacks Sensorik fahrlässig zu unterschätzen.

 Allgemeiner verstanden ist Schmecken die Summe der sensorisch ausgelösten Wahrnehmungen beim Essen und Trinken. Dem Sehen vergleichbar stellt sich die sensorische Geschmacksempfindung unmittelbar ein. Sie kann keinesfalls willentlich gesteuert werden, ist auch in ihrer Intensität nicht beeinflussbar. 

Das hat einen recht einfachen Grund: Das primäre Interesse unseres Körpers ist das simple, existenzielle Überleben. Der im Laufe der Evolution ausgebildete Geschmackssinn bewertet nahezu unwillkürlich, ob uns eine Nahrung zuträglich ist, noch bevor sie der Verdauung zugeführt wird.

Dazu bedient er sich lediglich fünf Qualitäten: süß, sauer, salzig, umami und bitter (diskutiert wird, ob es mit Fett und Wasser zwei weitere geben könnte). Mit ihrer Hilfe werden der Energiegehalt, die Elektrolytzusammensetzung und schädliche Stoffe einer Nahrung identifiziert. Das Ergebnis führt unmittelbar zu einer hedonischen Bewertung zwischen ausgesprochen angenehm und extrem unangenehm. Bei kleinen Kindern gibt es eine freudige Aufnahme von süß, umami und (in engen Grenzen) salzig. Mit expressiver Abneigung hingegen reagieren sie auf Bitteres und Saures.

Die Geschmacksempfindungen selbst sind keinesfalls manipulierbar. Doch die resultierende hedonische Bewertung unterliegt durch die im Laufe des Lebens gewonnenen individuellen Erfahrungen erstaunlichen Modifikationen. Dazu zählt vor allem – aber nicht nur – die Bekömmlichkeit: 

Wir sollten schätzen, was uns gut tut. 

Und obwohl bitter, lernen wir, Bier und Schokolade sehr zu mögen. Darüber hinaus können vielfältige soziologische und psychologische Faktoren auf hedonische Bewertungen Einfluss nehmen. Die Perspektive für vielfältige individuelle Anreicherungen und Entwicklungen ergeben sich hieraus. Das ist aber eben auch die Einflugschneise für äußere Interessen".

DEINE Aufgabe, MEINE Aufgabe

DEINE Aufgabe, MEINE Aufgabe

In Münster findet derzeit die vielbeachtete Ausstellung Skulptur Projekte 2017 statt. In der ganzen Stadt wird man mit den unterschiedlichsten Arbeiten konfrontiert. Unserem Kompetenzteammitglied Philipp Overberg ist dabei besonders eine große Tafel mit zehn Sätzen in englischer Sprache ins Auge gesprungen. Den Bezug zu unserer Aufgabenstellung schildert er hier: 


TEILE DEIN ESSEN 

MIT EINEM FREMDEN


"Ein Werk aus dem Jahr 2016 mit dem Titel „Daytime Task“. Der Künstler stellt dem Betrachter zehn Aufgaben, die zu den ungewöhnlichsten Interaktionen auffordern. „Teile dein Essen mit einem Fremden.“ Wer macht denn sowas? Einfach so? Wie viele Leute wohl schon eine von Koki Tanakas Aufgaben erfüllt haben? Ob es wohl jemanden gibt, der alle geschafft hat? An einem Tag?

 Dieses Werk verlangt dem Betrachter einiges ab. Denn mit dem bloßen Betrachten ist es nicht getan. Der Rezipient soll offenbar aktiv werden. Und damit überträgt der Künstler uns allen nicht nur die zehn überraschenden Aufgaben auf der Tafel, sondern nimmt uns auch noch in die Pflicht, aktiv am Gelingen des Kunstwerks mitzuarbeiten. Die Tafel ist nur ein Teil des Werks. Die vom Künstler gewollte Verhaltensänderung und Interaktion und alle damit verbundenen inneren Vorgänge wie sich selbst motivieren, Ängste überwinden, abwägen, zweifeln, entscheiden sind der entscheidende Part: Die Rolle des aktiven Rezipienten.

Möglicherweise ist die Verantwortung des Rezipienten für das Gelingen des künstlerischen Akts auch gar nicht so groß wie sie zunächst zu sein scheint. Vielleicht reicht es auch schon, wenn man sich mit den Aufgaben auseinandersetzt, die der Künstler uns gestellt hat, ohne sie in die Tat umzusetzen. Bereits das Durchspielen eines der Szenarien im Kopf verändert etwas in mir, indem ich mich damit beschäftige. Es verändert möglicherweise auch mein zukünftiges Verhalten in der Interaktion mit anderen. Einfach nur, weil ich den künstlerischen Eingriff in mein Leben in der Fantasie zulasse: WAS WÄRE, WENN?  Denn das Nachdenken lenkt meine Aufmerksamkeit auf Fragen, die ich mir im Alltag normalerweise nicht stelle. Fragen nach dem Zusammenleben mit anderen Menschen. Wie kann oder soll das gestaltet werden? Wie will ich mit anderen umgehen? Was bin ich bereit, in der sozialen Interaktion zu riskieren?

So oder so: dieses Kunstwerk fordert den Rezipienten mit seinem Denken, Fühlen und Handeln in ganz besonderer Weise. Die künstlerische Intervention nimmt Einfluss auf das Leben des Rezipienten weit über die eigentliche Rezeptionssituation hinaus. Das Kunstwerk ist auf die Aktion des Rezipienten angewiesen. Gleichzeitig hat der Künstler keine Kontrolle darüber, wie der Rezipient sich zu den Aufgaben verhalten wird. Das Ergebnis ist völlig offen.

 Warum mich diese künstlerische Arbeit so beschäftigt? Weil wir im food lab Kompetenzteam gerade ganz ähnliche Fragestellungen bearbeiten: Wie kann ein künstlerischer Ansatz aussehen, der Ernährungsperspektiven für die Zukunft aufzeigt? 


                  Unser Ausgangspunkt: 

Wir stellen den Konsumenten in den Mittelpunkt, so wie der Künstler den Rezipienten. Wir schreiben ihm eine aktive Rolle zu, wollen seine sensorische Kompetenz fördern. Wir schreiben nichts vor, sondern regen an zur aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema. 

                   Der Weg dahin: 

Zunächst müssen wir eine Situation schaffen, in der der Konsument sich bewusst, frei und selbstbestimmt mit dem Thema beschäftigen kann. Das Projekt „Mittagstisch“, das wir bereits an anderer Stelle vorgestellt haben, bietet dafür eine gute Plattform. In einem weiteren Schritt wollen wir mit kleinen Aufgaben die Situation verfremden oder zuspitzen, um eine bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Sensorik zu ermöglichen.


 Die Entwicklung vom Konsumenten zum Pro-sumenten kann nur über eigene Erfahrungen laufen. Wir wollen für kleine Aha-Erlebnisse sorgen, die zu einem bewussteren Konsumieren, im Idealfall sogar Genießen, und schließlich zu mehr Wertschätzung für Lebensmittel führen. Diese Erfahrungen kann jeder nur selbst machen, aber nicht (nur) alleine. Die soziale Interaktion in der Gruppe ist ein entscheidender Katalysator. Essen und Genießen in Gemeinschaft ist einerseits der Kitt, der Gesellschaften zusammenhält, andererseits das wundervolle Erlebnis, ganz bei sich selbst zu sein: ökonomisch unproduktiv, geistig angeregt und offen für Interaktion. Insofern ist es bestimmt kein Zufall, dass Koki Tanakas erste Aufgabe das Thema Essen aufgreift und damit direkt ins Herz trifft:

 „Share your food with a total stranger.“

GEMEINSAM zu Tisch

GEMEINSAM zu Tisch

Unser gesamtes Kompetenzteam kommt im food lab der FH Münster zusammen. Bei einfallenden Sonnenstrahlen und eigens entwickelten vegetarischen Riegeln wird die zukünftige Organisation & Vorgehensweise im Projekt besprochen. 

Auf der diesjährigen BERLIN FOOD WEEK haben wir um einen Stand sowie einen Workshop gebeten, bei dem das Phase XI Team sich vorstellt und mit Fachpublikum sowie Experten in Gespräch kommen soll. Zudem sind wir auf der Suche nach passenden Unternehmen bei denen ein „Test-Mittagstisch“ mit der Beobachtung auf einer Kompetenzerweiterung sowie Sinnesschärfung der Essenden liegen soll.  Der Fokus soll dabei auf unterschiedliche Versuchsfelder liegen:

 


  • Ein Gedanke wäre es das „Hermanns“ aus Berlin Mitte als Art Innovation Lab mit einzubeziehen. Es ernennt sich selbst als einen Ort der sogenannten „Food Revolution“ und soll Interessenten die Möglichkeit geben, sich regelmäßig über relevante Ernährungsthemen auszutauschen sowie neue Food-Innovationen selbst zu testen und zu probieren. Dort würden wir mit Jungunternehmern, Bloggern und auch der Industrie gemeinsam am Tisch zusammenkommen und mithilfe unserer Wissenschaft versuchen Lösungsansätze zu entwickeln.


  • Ein weiterer relevanter Test- Ort soll eine Kita oder die Schule sein um eine mögliche Beeinflussung in frühen Erziehungsbereichen zu beobachten. Nachhaltiger Umgang mit Lebensmitteln sowie die Freude & der Genuss am Essen sollen möglichst früh und einfach in den Alltag etabliert werden um einen langfristigen Kompetenzerwerb zu erzielen. Die Zielgruppe der heutigen Kinder ist spannend – sie wachsen in das Jahr 2050 hinein und bekommen die Lebensmittelwende am deutlichsten zu spüren. Wir wollen vor allem dort möglichst ehrliche Antworten und Reaktionen auf das Mittagsangebot erhalten.


  • Zuletzt ist unser Fokus auf ein Unternehmen mit einer hohen Anzahl an unterschiedlichen Mitarbeitern gerichtet. Wir diskutieren über mögliche Branchen: Wäre es möglich einen radikalen Versuch in einer Automobilwerkstatt zu machen? Oder wie verhält es sich mit einer Großkantine z.B. im SuperBioMarkt? Den möglichen Richtungen wollen wir im Team noch einmal nachgehen und diese dann kontaktieren.

Von Interesse ist der persönliche Eindruck von Olafur Eliasson, der uns für das Konzept zu Beginn Inspiration gegeben hat. Auch ihn wollen wir zu einem persönlichen Kennenlernen auf der Food Week einladen und Interviews vor allem mit dem Schwerpunkt auf dem verbesserten Betriebsklima, der eigenen Erfahrung und der weiteren positiven Effekte auf sein Studio führen. Aktuell befindet sich eine Bachelorstudentin der Hochschule dort um bezogen auf das Mittagsangebot die nachhaltige Rohstoffbeschaffung zu bewerten. Ein Aspekt, der dabei unumgänglich ist und mit einbezogen werden sollte. 

​ Foodlab visits Mediametic Amsterdam

​ Foodlab visits Mediametic Amsterdam

Um sich über Umsetzungsmöglichkeiten  & Ideenentwicklung weiter zu informieren  hat sich ein Teammitglied zu einer Exkursion in das nicht entfernte  Nachbarland aufgemacht und innerhalb der Food-Szene  Amsterdams dem MEDIAMETIC einen Besuch abgestattet.

Mithilfe von Künstlern und sogenannten Foodies sollen Möglichkeiten an der Schnittstelle von KUNST & NAHRUNG entwickelt werden.

Es wird Einblick gegeben wie Bier gebraut wird  um mit den entstandenen Hefekulturen später Gefäße zu produzieren, die biologisch abbaubar sind.  In einer anderen Anlage, dem aquaponic  Greenhouse  werden Pflanzkulturen in einem Kreislaufsystem versorgt: Das Wasser für die Pflanzen wird in einer Fischzucht mit organischem Material und Detritus angereichert und versorgt so die in mehreren Etagen wachsenden Pflanzen. Diese wiederum verbrauchen einen Großteil dieses Materiales sowie die gelösten Spurenelemente, ein übriges tut das Lavagestein in den Pflanzsubtraten, welches viele dieser Stoffe akkumuliert - am Ende kommt wieder sauberes Wasser heraus, dass wieder zu den Fischen geleitet wird.  

Auch andere kleine Nahrungs-Kunstwerke sind in den Häusern zu finden:  

- Speisefische, die in Bassins am Angelhaken hingen und mit typischen Seemanns-Tatoos verziert waren

- Rank Hilfen für Hopfen aus Bierkrügen und Tellern

Dabei aufkommende Fragen: Welchen Einfluss haben die Kunst & die Kreativität also bei Lebensmitteln? Kann auch dadurch Wertschätzung und nachhaltiger Genuss gefördert werden?

  Besondere Neugier weckt aber auch die anliegende Kantine. Diese ist am dort gelegenen Restaurant integriert und hat ein Mittagstischkonzept, bei dem man mit den Resten kocht, die vom Restaurant übrig geblieben sind. Anders als bei unserem an der FH Münster aktuell ausprobierten Mittagstisch kochen dort die Künstler und Mitarbeiter für sich selbst.

Dort sind zwei verantwortlich dafür aus den Resten des Vortages etwas Kulinarisches zu zaubern. Handwerkliche Schützenhilfe bietet dabei ein ausgebildeter Koch, der dafür sorgt, dass das alles auch wirklich umsetzbar ist. Jeden Mittag entsteht so ein bunter Mittagstisch - bei dem die Zungen der Koch-Laien entscheiden, was es gibt. So werden die gustatorischen und olphaktorischen Vorstellungen geschult und die Gemeinschaft gestärkt - bei Tosch ist dann auch immer Essen tatsächlich ein Thema.

Fazit: Eine sinnvolle Institution im Herzen unseres Nachbarlandes und weitere wichtige Quelle der Inspiration für unser Phase XI Team...

 

 

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