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Erforschung des Westens: Ein Geschwindigkeitsversuch

Erforschung des Westens: Ein Geschwindigkeitsversuch

Unser Forschungsmobilaut ist losgezogen, auf seine Mission. Die nächsten zwei Monate wird er unterwegs sein, im ganzen Land. Im Geschwindigkeitsrausch erkundet er in seinem ersten Versuch die Metropolregion NRW, getrieben von der Frage, wie schnell ein einzelner Mobilaut eigentlich sein kann - und was Mobilität im Kern ausmacht.

Versuch: In weniger als 4 Stunden 10 Städte mit jeweils über 30.000 Einwohnern in NRW bereisen

Start und Ziel: 51°29′ N , 7°13′ O, Oskar-Hoffmann-Straße, Bochum

Zeit: 02. August 2017, 11:00–14:59 Uhr 

Aus den Notizen von Jens Eike Krüger 

Um 1100 (Militärische Zeitangabe) wird der erste Versuch im Rahmen meiner Pionierfahrt starten. Ich möchte sehen, wie schnell ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zehn Städte mit jeweils über 30.000 Einwohnern besuchen kann. Und besuchen heißt nicht: aus dem Zug springen und wieder rein hüpfen. Man braucht einen Aufenthalt. Mindestens eine Minute. Denn der Mobillaut startet nun auf seine Sichtungsreise. Das heißt: Er sieht und wird gesehen. Heute quasi überall im Ruhrgebiet oder so ähnlich, die genaue Strecke kenne ich ja noch nicht. Dabei versuche ich, schnell zu sein – sehr schnell. Am besten ich schicke noch eine E-Mail an mich selbst. Wenn ich gut bin, habe ich die Aufgabe erledigt, bevor die E-Mail wieder bei mir eintrifft. Zudem weiß ich dann, dass ich mich immer noch im gleichen Dimension befinde und nicht versehentlich bei meinem Tempo die Realität durchbrochen habe und in eine andere gewechselt bin.

11:00 Uhr Tipp, tipp, tipp: E-Mail ist raus. Ab in den Mobilautenanzug, dann geht es los. Leider noch ein bisschen rauen Hals von der Erkältung vor zwei Wochen. „Husten: wir haben ein Problem!“. Dagegen noch einen Schluck Kaffee (nichts auf den neuen weißen Anzug schütten) und dabei die Karte studieren. Druckausgleich, durch die Schmutz-Schleuse, Treppenhaus und raus.

11:08 Uhr Ich verlasse die Oskar-Hoffmann-Straße in Bochum und gehe schnellstmöglich zum Bahnhof. Dort prüfe ich die große Anzeigetafel. Der nächste Zug geht nach Witten. Genau um 11:21 auf Gleis 5. Gut, Witten also. Von dort aus könnte ich vielleicht gleich nach Wetter weiterfahren. Aber Recherchen während der Zugfahrt sagen mir: Halt! Wetter verpasst um 2178 EinwohnerInnen die 30.000 Einwohnergrenze. Dann muss es anders gehen. Aber erstmal in Witten ankommen.

11:39 Uhr Der Mobillaut wird in Witten gesichtet.

11:55 Uhr Andere sichten einen Mobilauten in Dortmund

12:17 Uhr Moment – das muss er sein: verdächtige rote Schuhe in Castrop Rauxel

12:21 Uhr Zeit für eine kleine Erfrischung. Das multiple Erscheinen klappt an sich sehr gut, ist aber auch sehr anstrengend. Zum Glück habe ich einige Rationen Mobilautenkost dabei. Diese wird tatsächlich auf einem anderen Planeten hergestellt, wie man an der Aufmachung erkennen kann. Schmeckt aber auch Menschen. Leider schaffe ich es nicht die Verpackung fachgerecht zu entsorgen, da ich mich unerwartet verpuffe und circa 8 km weiter in Herne materialisiere.

12:34 Uhr Passanten erkennen mich natürlich sofort.

12:35 Uhr Die Verbindungen sind gecheckt. Besser verstecken, bevor es weitergeht. Habe eh keine Autogrammkarten dabei.

13:01 Uhr Sichtung Wanne Eikel.

13:17 Uhr Vogelkundler entdecken mich in Gelsenkirchen.

13:49 Uhr Panorama Oberhausen. Nur irgendwer steht ungünstig im Bild.

14:07 Uhr Hinter diesen Scheiben befindet sich das wilde Duisburg.

14:21 Uhr Ein Freund hat mir erzählt, dass Handwerker dir anerkennend zunicken, wenn du den öffentlichen Nahverkehr benutzt und einen Blaumann trägst. Klappt es auch bei einem Mobilautenanzug? Bis jetzt leider: nein. Obwohl ich mit strahlend weißen „Onesie“ unterwegs bin, scheinen sich die Leute kaum für mein Outfit zu interessieren. Es wird nicht überrascht geguckt und genickt erst recht nicht.„Ist das deine Arbeitskleidung?“ fragt der Mann gegenüber auf dem Weg nach Essen. „Ja.“ Stimmt ja irgendwie. „Was machst du denn?“. „Lackierer.“ Seit der Grundschule habe ich nicht mehr so dreist gelogen. „Ah ja. Sind aber keine Flecken drauf.“. „Ja. Der ist neu. Zweimal getragen“. Es klappt. Ich kann mich also tarnen, wenn ich möchte. Toll dieser Anzug - sehr vielseitig. Obwohl: ins Gespräch kommen, wäre ja auch was. Nächstes Mal spiele ich mit offenen Karten.

14:33 Uhr Ich bin in Essen. Da ich flott in den nächsten Zug nehme, werde ich kaum gesehen.

14:45 Uhr Ich erreiche Bochum. Jetzt noch schnell zurück zur Wohnung. Immerhin gilt es, die E-Mail noch einzuholen, die schon unterwegs ist.

14:59:31 Uhr Tada! Trautes Heim, Glück allein.

Der Mobilautenanzug hat gehalten, was er verspricht: Er hat mich unbeschadet durch verschiedenste geografische Gefilde geführt und Druck- wie Temperaturunterschiede kompensiert. Kompensiert im Sinne von: Es war immer gleich viel zu warm und feucht darin.

Auswertung: Ich habe es geschafft, in unter vier Stunden von der Haustür aus zehn große Städte in NRW zu besuchen und zurück zu kommen. Bochum, Witten, Dortmund, Castrop-Rauxel, Herne, Wanne-Eikel, Gelsenkirchen, Oberhausen, Duisburg, Essen – Bochum.

Dafür habe ich keinen Tropfen Benzin verbraucht und mich auch kaum selbst bewegt. Zumindest kaum per Fuß. Leider ist die E-Mail um 11:00 eingetroffen und damit knapp drei Stunden und 59 Minuten schneller als ich gewesen, was mich ein wenig ärgert. Mal sehen, welches Fortbewegungsmittel ich bei der nächsten Mission wähle. Zugfahren ist ja eher für Anfänger.

Aber es heißt geduldig und zäh zu sein: Die Leute haben ja auch gesagt, es wäre unmöglich, 100 Meter in unter 10 Sekunden zu laufen. Und jetzt ist es gang und gebe – also zumindest unter schnellen Sprintern und einigen Raubkatzen.

Ich taste mich also langsam durch Erfahrungen an die Geschwindigkeit und dann vielleicht an die Omnipräsenz ran. Vor allem aber an die Frage: Was bedeutet Mobilität?

Erkenntnis 1: Vier Stunden, zehn Städte – an mir vorbeigerauscht und ich an ihnen. Ich war überall und doch nirgends. Körperliche Bewegung allein genügt scheinbar nicht, um den Horizont zu erweitern. Geistige Mobilität könnte der Schlüssel sein. Beim nächsten Mal gebe ich mich zu erkennen. Spannende Gesprächspartner müssen her. Vielleicht komme ich so in neue, entlegene Gebiete des Denkens. 

Fotos: Jens Eike Krüger

Rezept gesucht

Rezept gesucht

Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten –  da mag man sich die Debatte am dörflichen Stammtisch vorstellen: brauch’ mer des? 

Lieber Lederhose mit einer handfesten Halben statt Laptop mit Latte Macchiato und sonstigem Kokolores. Umgekehrt wird mancher urbane Kreativtäter bei dem Thema latent amüsiert überlegen, wie denn nun ein nachgerade konstitutives Momentum des Urbanen, die innovationsdynamische creative class im Resonanzraum von Alpenidylle und Brauchtumskultur zu den innovativen Ideen kommen soll – kurz: wer kann es sich schon leisten, Berlin mit einem Bergdorf zu tauschen?

Leider ist die Ausgangslage für eine Debatte über Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten gar nicht so weit entfernt von dieser sicher überzeichneten Frontstellung. Die Klischees leben gut, die Vorurteile sind stabil. Stabil ist damit aber auch die Blockade eines möglichkeitsoffenen Denkens mit Blick auf das, was Kultur und Kreativwirtschaft in Berggebieten denn überhaupt meinen könnte: genau das ist nämlich noch zu klären – entlang von lebendigen Beispielen, neuen Experimenten, neue Mischungen von Konzept und Milieu.

Im creativealps_lab wurde und wird in diesem Sinne sondiert, werden Szenarien entwickelt und interessante Akteur_innen zusammengebracht. Dabei hat sich folgende Arbeitshypothese herauskristallisiert: um Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten sind  andere Rezepte als im urbanen Zusammenhang: erforderlich ist hier die spezifische Nutzung eines Potentials, das in den Berggebieten zur Verfügung steht: Raum. Damit sind nicht nur reale Räumlichkeiten gemeint, die es in Form von Leerstand in vielen Bergregionen im Überfluss gibt. Es ist auch ein atmosphärisch zum urbanen Zusammenhang komplementärer Raum, der für viele Kreative und Kulturschaffende an Bedeutung gewinnt. Aber eben nicht im Sinne klischiertes Gegenmodells zur Stadt und ihren Qualitäten, sondern als Möglichkeitsraum dafür eine zweiheimische Lebensform anders und im Benehmen mit den unterschiedlichen Qualitäten vor zu etablieren, als das im Rahmen von Sommerfrische, Ferienwohnung oder anderen Versionen des Temporärexils möglich ist. Und: solcherart entstehende montanurbane Milieus können zu lokalen Kollateraldynamisierungen führen, Neues entstehen lassen.

Welche Herausforderungen stellen sich für Projekte der Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten vor diesem Zusammenhang? Dazu mehr in der kommenden Woche hier im Logbuch ...

Die Bildungsreise: An der Kante des Möglichen

Die Bildungsreise: An der Kante des Möglichen

Aus den Aufzeichnungen von Jens Eike Krüger. Die Idee: Am 2. August werde ich testen, wie schnell ich in NRW von einer Stadt zur nächsten springen kann. Den Fahrplan an der Kante des Möglichen surfen. Zick, Zack, Zapp, Köln, Bochum, Wuppertal. Ein Teilchen, dass an zwei Orten zugleich ist. Ein Photon. Hier – da – überall: ein Hau-den-Maulwurf auf 34.000 Quadratkilometern.  

Alex war ein Jahr in Sambia. Alex sagt, dort gibt es Leute, die sagen: „I don't believe in witchcraft, but I have seen it.“ Worin die Witchcraft dort besteht, frage ich. Alex sagt, man kann Leute verwünschen oder mit Magie um etwas bitten. Besonders mag ich die Geschichte von diesem Mann: Man trifft ihn in Sambia an dem einen Ort, und er sagt, man solle ihn in einer anderen Stadt aufsuchen. Und egal wie schnell man zur anderen Stadt reist, er ist schon dort. Er ist schon dort und hat sich den ganzen Tag nicht bewegt. Also eigentlich ist er hier und da und dort. Gleichzeitig. Das ist Witchcraft.

Für meine erste Expedition möchte ich das Verkehrsnetz der Bahn in NRW testen. 100.000 Personen nutzen allein den RE 1 täglich, sind sozusagen gleichzeitig in Dortmund, Essen und Mülheim und wundern sich, dass die Städte gleich aussehen. „Le Crobac“ verabschiedet sich und spricht: „Fahre nach Düsseldorf, ich werde schon dort sein“. Und dort ist es dann auch schon – egal wie schnell man fährt. Gleiche Brötchen, ähnlicher Verkäufer. „Ah, da sind Sie ja wieder“, sagt er. 

Voodoo oder Kalkül des Kapitalismus? Mir wäre Voodoo ja lieber. 

All around the world...

All around the world...

Weisheiten rund um die Wirtschaft finden sich überall, auch in Chicago 

Ja, so sind die Amerikaner: kaum sitzt man nebeneinander im Flugzeug, schon wird geplaudert... Und da stellt sich mein Gesprächspartner doch als typischer US Selfmade Millionär raus... Auf die Frage, was ihn am meisten nach vorne bringt und am besten unterstützt, sagt er: "Das Scheitern... ich habe 6 Firmen gegen die Wand gefahren, und Nummer 7 ist es geworden... Durch das Scheitern habe ich endlos viel gelernt..."

Also: alle mal ein bißchen öfters Scheitern???

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