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Eine Bergpartie

Eine Bergpartie

Denken und Diskutieren in den Bergen der Ramsau. Das creativeALPSlab hat mit einem ersten Workshop seine Arbeit aufgenommen. Endlich Gedanken austauschen, gemeinsam Ideen entwickeln.

Mit von der Bergpartie im Bergkulturbüro in Ramsau waren unter anderem UX Designer, Theatermacherinnen, Philosophen, Architekten, Regionalmanagerinnen, Einheimische, Ausheimische und Alpengäste: 

Leonie Pichler - http://www.bluespotsproductions.de/

Severin Brettmeister - http://brettmeister.com/

Max Bachmeier - http://maxbachmeier.de/

Christof Isopp - http://www.verknuepfer.at/home.html

Anna Donderer - http://www.ratundtat-kulturbuero.de/

Flurina Gradin - https://www.zhdk.ch/person/9958

Alexander Schmid - http://www.smg-mb.de/

Ingrid Wildemann-Dominguez - http://www.smg-mb.de/

Veronika Müller - http://www.smg-mb.de/

Franz Keilhofer - http://www.gingerwood.de/de/

Nadine Schachinger - http://www.herz-flimmern.com/de/about-me/

Jens Badura - https://bergkulturbuero.wordpress.com/

Matthias Leitner - http://www.matthias-leitner.de/

Unsere Aufgabenstellung war folgende:

Was macht ein kreatives Milieu in Berggebieten aus? Welche Rolle spielen hier die besondere Nähe zu Traditionen aus Brauchtum, Handwerk etc.? Welche Möglichkeiten/Synergien und Stimulationen ergeben sich für einen Austausch zwischen den Berggebieten und urbanen Regionen und wie kann dieser gezielt befördert werden? Welche Narrative braucht es, um die Potentiale kultur- und kreativwirtschaftlicher Aktivitäten in Berggebieten an die unterschiedlichen Stakholder (Kreative, Wirtschaftstrebende, Lokal- und Regionalpolitik, lokale Kulturräume etc.) kenntlich zu machen? 

Nach zwei Intensiven Tagen sind alle wieder erschöpft in die Täler, auf die Berge, in die flache Fremde zurückgekehrt und das creativeALPSlab-Team plant jetzt die nächsten Schritte. Bald mehr an dieser Stelle.

(alle Bilder @Nadine Schachinger)



Wie, ja wie denn bitte?

Wie, ja wie denn bitte?

In welchem Sinne kann Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten zur Regionalentwicklung beigetragen? Im urbanen Zusammenhang ist es ja quasi zum Standard geworden, mit Kreativen räumliche Aufwertung zu betreiben, so in etwas funktioniert das typische Narrativ: 

durch neue, trendstiftende und attraktive Milieus mit entsprechenden informellen Atmosphären wird das Viertel belebt. Die Kreativen, Künstler und Kulturschaffenden finden vor Ort günstige Mieten für Wohnungen und Projektspaces sowie auch sonst einen gewissen soziokulturellen Gestaltungsspiel- und Ideenoptionsraum für unkonventionelle Lebensformate. Wieder- oder Umnutzung bestehender Infrastrukturen beseelen das entsprechende Quartier neu, soziale Brennpunkte werden durch neue Bewohnergemische entschärft, ggf. neue Arbeitsplätze in den creative industries und der Dienstleistung generiert etc. Bis die Sache ggf. umschlägt und die jeweilige Stadt ein neues Wohlfühlviertel für einkommensstärke Schichten hat, weshalb die Neuerschließer-Community entweder entsprechend eingesessen ist und bleibt oder andernorts erneut mit einem Stadtteilupgrading beginnt. Aber – das in Wert gesetzte Viertel generiert jetzt auch mehr (monetäre) Werte und damit macht diese Aufwertungsstrategie im Lichte wirtschaftsgetriebener Stadtentwicklungskonzepte ja schon Sinn. Oder ein anderes beliebtes und vielgebrauchtes Strategienarrativ: Standortaufwertung durch Kultur, Bildung und Wissenschaft. Neue Museen, Konzerträume Musicalhallen, Festivals oder Hochschulen und Forschungseinrichtungen sollen das Image der Stadt positiv prägen und wiederum neue ökonomische Produktivität generieren – sei es auf dem Tourismusmarkt oder durch die Schaffung eines für High Potentials und ihrer Arbeitgeber attraktiven Umfelds.

Nun lässt sich vermuten, dass auch in Berggebieten solche „upgrade“-Narrative möglich sind – auch wenn die Interessen dahinter etwas existentieller geartet sind: Konkret gesprochen geht es darum, durch den Zuzug von in der Kultur- und Kreativwirtschaft sozialisierter Gründer und Macher der Abwanderung und damit dem drohenden Verschwinden von ganzen Gemeinden entgegenzuwirken – indem aus verlassenen Liegenschaften pulsierende Ortszentren gemacht werden und en passant der Erhalt bzw. die Wiederherstellung und der Ausbau grundlegender Infra- und Versorgungsstrukturen befördert wird. Die in Städten selbstverständliche Infrastruktur ist in vielen Bergregionen ja tatsächlich ein kritisches Thema: Der Erhalt von Nahversorgung, ärztlicher Versorgung, Kindergarten und Schule, der Busanbindung, schwierig zu unterhaltender Zufahrtstrassen usw. stellt viele Gemeinden vor große Probleme. Und mit jedem Wegfall einer der genannten Komponenten wird es für diejenigen, die vor Ort bleiben zunehmend schwieriger sich auch weiterhin für das Bleiben zu entscheiden. 

Eine an nicht wenigen Orten zu beobachtende Abwärtsspirale: die lokale Volksschule wird geschlossen, die Frequenz im öffentlichen Nahverkehr reduziert, der kleine Nahversorger macht dicht, der Weg zur bezahlten Arbeit wird immer länger – wieviele Familien werden dann noch bleiben wollen oder gar zuziehen? Jeder zusätzliche Einwohner insbesondere aus der jüngeren Generation erleichtert hier die Ausgangslage in der Diskussion und die Position der Gemeinden gegenüber der Politik. Und zum Thema Kultur, Bildung und Wissenschaft: auch hier werden die Rezepte aus den Städten aufgegriffen. Die Zahl der Festivals in Berggebieten ist in den vergangenen sprunghaft gestiegen, Hochschulen schaffen Campusstrukturen im alpinen Umfeld und die gezielte Entwicklung von Kulturangeboten mit touristischem Mehrwert gehört mittlerweile auch schon Standard im zeitgenössischen Destinationsmanagement.

Soweit so gut. Es wäre aber schade, wenn kultur- und kreativwirtschaftliche Aktivitäten in Berggebieten auf diese Varianten des „Sanierungskatalysator-Narrativs“ beschränkt blieben und damit die Betrachtung auf eine vorrangig ökonomisch gedachte Entwicklungshilfe beschränkt bliebe. Denn wie in den Stadtentwicklungsdebatten ist diese Perspektive zwar sicher legitim, sollte aber die Sicht auf andere, mindestens genauso interessante Aspekte und Effekte der Kultur- und Kreativwirtschaft verstellen: die soziokulturellen Kollateraleffekte, die weit über die Entstehung neuer „Trendquartiere“ oder „Trendvillages“ usw. hinausgehen. Mindestens genauso prominent wie ökonomische Parameter sollten hier Begriffe wie Lust, Mut und Engagement, Erfindungsreichtum, Gründergeist und Experimentierfreude sein oder, anders gesagt - die Bezugnahme auf Fragen wie: Was ein Leben zum guten Leben macht? Fragen, Anliegen und Motivationen also, die dazu führen, dass sich Menschen die Gestaltungshoheit der eigenen Lebensumwelt aneignen und dafür bekömmliche Formate des Arbeitens und des Wohnens kreieren, die nicht mehr von der Dichotomie Stadt-Land, Zentrum-Peripherie, Tradition-Moderne usw. grundiert sind. Kurz – es gilt, über das ökonomische Entwicklungsvokabular hinausgehende Denk- und Vermittlungskonzepte zu mobilisieren und das Potential zum Experiment als Quelle für Regionalentwicklung in Berggebieten fruchtbar zu machen und es zugleich in den urbanen Diskurs hineinzuspiegeln. Ein Beispiel für ein solches Experiment ist die Zukunftsakademie Rätikon (https://zukunftraetikon.blog), die im kleinen Graubündner Bergdorf Schuders soeben gestartet wurde: ein Experiment, bei dem sechs junge Künstler, Architekten und Wissenschaftler für drei Wochen zusammen mit der lokalen Bevölkerung an Zukunftsszenarien arbeiten. Das creativealps_lab ist Partner dieser Initiative und wird somit deren Arbeit in den kommenden Wochen begleiten. 

Bergdynamik und Milieubildung

Bergdynamik und Milieubildung

Eine zentrale Herausforderung für die Etablierung kultur- und kreativwirtschaflicher Dynamiken in Berggebieten liegt in der Schaffung montanurbaner Milieus. Gängige Kreativ-Milieutheorien nennen als zentrale Faktoren u.a. folgende Aspekte:

 

  • einen örtlich verbundener Produktionszusammenhang mit zumindest partiellen Verflechtungen der Wertschöpfungsketten (also plakativ gesprochen z.B. ein Quartier mit Designerstartups, Künstlerateliers, Galerien, Architekturbüros und Musikproduktionsfirmen)
  • eine damit verbundene soziale Einbettung der beteiligten Akteure durch gemeinsam genutzte Institutionen (z.B. eine Kunsthochschule)
  • etablierte formelle und informelle Regeln und Räume des fachlichen wie privaten Austauschs (Szenekneipen und Kulturräume aller Art)
  • sowie damit verbundene Innovations- und Lernprozesse, die innerhalb der so entstandenen communities spezifische Wissensbestände entwickeln und erhalten – in informellen Netzwerken, lokalen Initiativen etc.

 

Ein Problem mancher Bemühung, kultur- und kreativwirtschaftliche Aktivitäten im ländlichen Raum und den Berggebieten im speziellen zu etablieren ist, dass versucht wird, die eben beschriebene Konfiguration tel quel in entsprechende Regionen zu transplantieren ohne sich dabei einem Übersetzungs- und Transformationsprozess auszusetzen, der lokalspezifische soziokulturelle, infrastrukturelle und im weiteren Sinne atmosphärische Aspekte nicht nur berücksichtigt, sondern in’s Zentrum der Aufmerksamkeit rückt. Und dies ist ein Prozess, der letztlich nur partizipativ und „bottom up“ funktioniert – durch die Schaffung von Räumen dafür, Menschen zusammenzubringen, die es nicht bei einer klischierten urban-versus-montan-Dichotomie belassen wollen, sondern auf die Wechselwirkungen beider setzen bzw. aufgrund selbstbewußter Mehrheimischkeit vermitteln können und wollen.

Achtsames Community building ist hier das Stichwort und zugleich die Herausforderung, erfordert es doch angesichts des Zusammenkommens unterschiedlicher Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte eine Offenheit für anderes Denken genauso wie einen Respekt für das Potential der Ladungszustände tradierter Wissenbestände und Vermögen – und ein selbstkritische Auseinandersetzung mit den allfälligen eigenen Vorurteilen gegenüber der „Kultur am Land“ und ihren Funktions- und Ausdrucksformen wie etwa Vereine, Brauchtum etc. genauso wie mit der vermeintlichen Arroganz und Ignoranz der Städter.

Ein Beispiel dafür, wie so etwas funktionieren kann, sind „Die Verknüpfer“ vom Projekt Landing aus Wien (http://www.verknuepfer.at/home.html). Sie stecken hinter einer Reihe von kommunalen Innovationsprozessen im Rahmen der Initiative „Zukunftsorte“, einer „Plattform der innovativen Gemeinden Österreichs“. Hier werden gleichermaßen Entwicklungsdynamiken in den Gemeinden ausgeheckt und umgesetzt wie auch im „Kommunalkonsulat“ in Wien – einem sehr „urban“ konzipierten Kulturraum – Austauschprozesse zwischen den Gemeinden aber auch zwischen Stadt- und Landdenken vorangebracht. Im Rahmen des Netzwerkaufbaus des creativealps_lab der Phase XI haben wir solche Initiativen gesucht und bringen sie in einem Workshop im berg_kulturbüro Ramsau zusammen. Wir werden berichten.

(Bild - Creative Commons / Quelle: http://www.landesarchiv-bw.de/web/54580)

Die Alpen - Sehen Lesen Klicken

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Wenn der Berg ruft, dann heißt es wandern, klettern, steigen, denken, leben, forschen, arbeiten, entdecken. Für eine ideale Vorbereitung dafür legen wir euch folgende Quellen nahe:

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