Die Berge & der Babelfisch
Die Berge & der Babelfisch
Die Erfahrungen der letzten Wochen mit Projektinitiativen des creativeALPSlab haben gezeigt: die große Herausforderung für die Kultur- und Kreativwirtschaft in Berggebieten liegt in der Übersetzung:
Übersetzung von Begriffen, Konzepten, Habitusformen, Arbeitsweisen. Was in der Stadt geht, geht nicht ohne weiteres auch im Bergdorf. Aber: was Stadt und (Berg)Land dabei jeweils ausmacht, ist keineswegs so klar, wie uns die gängigen Bilder im Kopf das Glauben machen. Auch in Bergregionen wird „urban“ gedacht und gelebt, nicht nur in dem allgemeinen Sinne, dass medial vermittelte Gleichzeitigkeit (mit allem, was da an Vorstellungen und Phantasien dranhängt) im globalen Maßstab auch im abgelegenen Alpenraumzonen alltäglich ist und die Welt nicht am Ausgang des Tals endet.
Aber hier gilt es nun auch, genauer hinzuschauen auf die Regionen, in denen Kultur- und Kreativwirtschaft „alpin“ werden könnte – und zu schauen, welche Anschlussmöglichkeiten und Übersetzungserfordernisse und Potentiale es da gibt bzw. braucht. Das soll nun in Folge versucht werden – mittels einer provisorischen Typologie, die zugleich Hintergrund dessen ist, was a künftigen Aktivitäten des creativealps_lab ansteht. Aus der bisherigen Arbeit heraus lassen sich heuristisch zugespitzt drei Typen von Bergregionen charakterisieren, die in jeweils spezifischer Weise Rahmenbedingungen für kultur- und kreativwirtschaftliche Engagements bieten:
1) Bergregionen in der Nähe von ökonomisch starken Gebieten – nennen wir sie periurbane Bergregionen– wie etwa im Einzugsbereich des Rheintals, die in einer engen sozioökonomischen Verbindung miteinander stehen: hier findet das berufliche Leben zumindest eines Teils der Dorfbewohner im nichtdörflichen Umfeld statt, was Rückwirkungen auf die Resonanz der regionalen und lokalen Gemeinschaft für Themen aus dem quasistädtischen Umfeld hat; es mischen sich abgestammte lokale Bevölkerung und Zuzügler und zuweilen wird ein Motto wie „Wohnen, wo andere Ferien machen“ zur Markierung solcher Dorfstrukturen gewählt. Diese Regionen sind zwar meist gut angebunden und nahe an ökonomisch prosperierenden Zonen, allerdings meist auch nicht billig – was für kultur- und kreativwirtschaftliche Aktivitäten, die auf mehrheimischen Lebensformen basieren, durchaus ein bedenklicher Faktor sein kann. Aber – solche Regionen sind jedenfalls nicht völlig unmusikalisch für urbane Denkstile, was sie wiederum für manche kultur- und kreativwirtschaftliche Akteure interessant machen kann.
2) Bergregionen in entwickelten Tourismusdestinationen – nennen wir sie temporär-urbane Regionen: Meist durch Saisonbetrieb und einen Hochwinter-Hochsommer-Rhythmus geprägt (und in nicht weniger Fällen sehr ungleich verteilt: also entweder Sommer- oder Winterfokus) gleichen diese teilweise eher temporären „Zwischenstädten“, in denen Elemente des Urbanen und des Dörflichen verwoben sind. Leerstand und Raumnot wechseln ab, die Arbeitskräfte im Tourismus sind wie die Gäste meist nur Teilzeiteinwohner, die nomadisch leben und geografisch den saisonalen Konjunkturen folgen – auch das prägt die Atmosphäre vor Ort in eigenwilliger Weise: eine Vielzahl soziokultureller Versatzstücke kommen in dynamische Mischungsverhältnisse – was ja landläufig als ein zentrales Kriterium des urbanen Lebens gesetzt ist. Entwickelte Tourismusregionen sind zudem Teil eines global agierenden Wirtschaftszweigs, der nach ebenso globalen Regeln funktioniert und das regionale und lokale Leben entsprechend „global“ prägt: es geht um Destinationsmanagement und die Bildung von Marken effizienter Ambientedienstleistung. Dörfliche Identitätsverhandlung wird dabei oft als Markenprozess gemäss des internationalen „state oft he art“ betrieben – mit dem Effekt, dass die Grenze zwischen Selbstbild und Fremdbild verschwimmen bzw. das Selbstbild aus den vorgestellten Fremdbildern ge-bildet wird – ein Phänomen, das nicht berggebietsspezifisch ist, aber auch hier Folgen für das Gemeinwesen zeitigt. Ein weiterer Faktor: Die Gäste erwarten zumindest Teile eines Angebots, das man „urban“ nennen kann – und finden unter dem wörtlichen Label „urban alpine“ nicht nur in Trenddestinationen in den Bereichen Architektur, Kulinarik, Fashion, technische Infrastruktur und sonstigen Konsumoptionen ein Angebot, das sich außer der landschaftlichen Kulisse nur in einem fundamental unterscheidbar ist von dem, was die zeitgenössische Stadt bietet: der Saisonalität. Urban von Weihnachten bis Ostern, dörflich von Ostern bis Juni, urban von Juli bis September, dörflich von Oktober bis Weihnachten, wobei sich beide Dimensionen natürlich fortwährend durchdringen und überlagern bzw. je nach Destinationstyp eben auf eine der Saisonen fokussiert bleiben. Aus der Warte der Kultur- und Kreativwirtschaft heißt dies, dass die Bedeutung dieser Saisonalität für das jeweilige Lebens- und Geschäftsmodell zu berücksichtigen ist – denn es ist de facto eine sehr spezielle Art der „Bergdörflichkeit“, die in solchem temporär-urbanen Regionen zu finden ist.
3) Ein dritter Typus wären jene Bergregionen, die man klassischerweise als strukturschwach bezeichnet und wo der Kreislauf aus fehlenden ökonomischen Perspektiven, negativer demographischer Entwicklung und fehlenden infrastrukturellen Entwicklungsimpulsen zu einem soziokulturellen Phlegma geführt hat. Eine Folge ist, dass der Austausch mit urbanen Regionen kaum (mehr) ausgeprägt ist und die Zeichen – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – auf Schwund und Verfall stehen. Zugleich stellen gerade diese non-urbanen Berggebiete nicht selten nachgerade ideale Kulissen für die scheinbarer Bestätigung klischierter Vorstellungen vom vermeintlich „einfachen“ und „authentischen“ Leben dar, die allerdings mehr über den imaginären Horizont jener aussagen, die so reden als über das, was in solchen Orten geschieht. Aber – und für kultur- und kreativwirtschaftliche Dynamiken nicht uninteressant: unter der Überschrift „new highlanders“ sind auch solche Gebiete seit einiger Zeit zunehmend ein potentieller Raum für neue Lebensformen, die in spezifischer Weise auf einer Kultur der Kreativität fußen – allerdings einer, die sich entweder relevant vom urbanen Kontext lösen oder aber vergleichsweise komplexe logistische Herausforderungen zu bewältigen hat. Und obwohl es eine Frage der Zeit sein dürfte: das Narrativ des digitalen Nomaden stößt in nicht wenigen Berggebieten schnell an technische Grenzen, da die Netzverfügbarkeit im Alpenraum keineswegs flächendeckend so ausgebaut ist, wie es viele Kultur- und Kreativschaffende gewohnt sind und benötigen.
Diese Typologie ist natürlich hoch schematisch – aber hier geht es vor allem darum, einen zentralen Punkt zu verdeutlichen: es gibt nicht die einfache Übersetzung urbaner kultur- und kreativwirtschaftlicher Strategien in bergdörfliche Zusammenhänge. Vielmehr ist jeweils zu fragen, in welchem Resonanzraum man operiert und mit wem welche Themen verhandelt bzw. Initiativen gestartet werden können – und welche Art von Kommunikation dazu dienlich ist. Mit der Erwartungshaltung zu starten, dass man nun den Landeiern Entwicklungshilfe andienen müsse ist dabei nur der offensichtlichste aller möglichen Fehler. Es braucht eine Einlassung auf die spezifische Situation vor Ort bzw. auf die jeweils etablierte Kultur der Urbanität, auf die hin die etablierten Narrative der Kultur- und Kreativwirtschaft immer noch gestimmt sind. Und es braucht ggf. eher neue Narrative – wie das oben skizzierte einer montanurbanen Lebensform – als paternalistisch Nachhilfe für die ansässige Bevölkerung dahingehend, dass diese den alten Narrativen folgt.
Doch auch mit Blick auf infrastrukturelle Fragen ist mit Blick auf Berggebiete Differenzierung angesagt und zuweilen komplexer zu bewerkstelligen als im urbanen Zusammenhang - und was das konkret heisst wird u.a. im Rahmen des am 8.-9.11. an Zürcher Hochschule der Künste stattfindenden Workshop "Kultur- und Kreativwirtschaftschaft im Alpenraum - Beispiele, Methoden, Analysen“ diskutiert werden - und das creativeALPSlab auch zukünftig beschäftigen: auch der blog bleibt dran.