Ich kann nicht leugnen, dass ich - aus der freien Szene kommend - mit vielen, vielen, vielen Vorurteilen ins Ministerium ging. Ich hatte ein gewisses Bild vom Beamtentum und habe nicht erwartet, dass mir ein ganz neuer Topos begegnet: der glückliche Beamte.
Die Beamten im Ministerium wirken erfüllt und stolz. Sie empfinden sich als Staatsdiener, und das Beamtentum bedeutet für sie einen loyalen Pakt zwischen dem Staat und ihnen. Man bindet sich aneinander. Vertraut. Geht eine lebenslange Bindung ein. Widmet sein Leben (bzw. seine Arbeitszeit) Deutschland.
Und wir? Die Start-up Szene? Hier herrschst das ICH. Wir sind loyal gegenüber unseren Bedürfnissen.
Ich bleibe so lange ich Spaß habe.
Ich bleibe so lange ich mich verwirklichen kann.
Ich bleibe so lange ich viel reisen kann.
Ich bleibe so lange es Hip ist.
Ich liebe das Risiko.
Mir wird klar, wir sind so bindungsunfähig wie man es unserer Zeit vorwirft.
Wir sind der ewige Single im Vergleich zum Beamtentum.
Für uns sind die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben weit geöffnet. Unsere Kollegen sind unsere Freunde, und wo unser Laptop ist, können wir arbeiten. Gleitzeit. Digitalnomaden. Wenn wir Zeit haben, fahren wir in den Urlaub, und wenn die Bude brennt, bleiben wir daheim. Wir identifizieren uns mit unserer Arbeit. Wir übernehmen OWNERSHIP.
OWNERSHIP vs. KERNZEITVERLETZUNG
Im BMWi wird zwischen Privat und Arbeit viel stärker unterschieden. Dafür bedeutet Feierabend Feierabend, und wenn ein Urlaub eingereicht ist, dann darf man auch wirklich fahren. Es gibt Kernzeiten (9 - 15h) und etwas nach 9h zu kommen, bedeutet eine Kernzeitverletzung (über welche der Vorgesetzte informiert wird). Home Office ist äußerst kompliziert (wegen der vertraulichen Daten), aber 12 Tage im Jahr wurden auch hier genehmigt. Allerdings ist die Vorlaufzeit sehr lange, und das Wort spontan findet keinen Widerhall.
Überhaupt ist die Sprache sehr unterschiedlich.
Risikobereitschaft vs. Bedenkenträger
Kommunikationskanäle vs. Dienstwege
Team Building vs. Vereinzelungsanlage (hier werden die Beamten vereinzelt durch ein Drehkreuz geschleust)
Vertrauensarbeit vs. Kernzeit
Schnellschuss vs. Mitzeichnung
Verantwortung vs. Hierarchie
Die Gegensatzpaare sind endlos. Ich für mich fühle mich weiterhin in der Start-up-Welt mehr zuhause, aber es tut gut zu sehen, dass Bürokratie auf dieser Ebene funktioniert. Bisher beschränkte sich mein Kontakt mit Behörden auf den Irrsinn von Anwohnermeldeämtern und dergleichen. Hier, im Wirtschaftsministerium, herrscht eine anderer Geist. Die Beamten übernehmen Verantwortung für bundesweite Entscheidungen und haben viel Mitspracherecht. Durch die Mitsprache kommt ein großes Verantwortungsgefühl. Das Wort Verantwortung kommt auch von “Antworten geben”. Hier spürt man, dass Demokratie und Bürokratie verwandt sind. Man nimmt die Bürokratie ernst, weil man auch eine Verantwortungspflicht gegenüber dem Steuerzahler hat. Alle Entschlüsse sollen rück- und nachvollziehbar sein. Es geht darum gegen die Willkür anzukämpfen.
Mir wird klar, dass es dem AMT FÜR UNLÖSBARE AUFGABEN also nicht nur darum gehen darf, eine Start-up-Mentalität für die Bürokratie zu entwerfen. Ab jetzt müssen wir beidem Gerecht werden. Dem goldenen Käfig und der Freiheit. Ich glaube, es wird darum gehen Identifikation durch Verantwortung zu schaffen. Wir stellen Fragen und werden Antworten suchen!